Stickereiausstellung im Rathaus
Wolfschlugen im Zeitalter der Stickerei
Die Stickerei prägte Wolfschlugen Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Im Jahre 1852 entsteht erstmals eine Relation zwischen Kommune und Stickerei. Am 31. Oktober 1853 wurde die erste Ausbildungsmöglichkeit zur Stickerin in Wolfschlugen geschaffen. Damals nahmen sofort 58 Mädchen daran teil, von denen sogar zwei von außerhalb kamen. Was anfangs nur im Winterhalbjahr möglich war, wurde ein Jahr später auch in der "Sommerschule" angeboten. Zur damaligen Zeit erlernten 60 Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren die Kunst des Stickens. Eine Arbeit, die ein hohes Maß an Geschicklichkeit und Übung voraussetzte. Gelehrt wurde das Weißsticken oder auch das Tamburieren (Kettenstich). Doch die Arbeitsbedingungen waren schlecht, was wiederum dazu führte, dass die Produkte ziemlich grob und unsauber gestickt waren. Deshalb schickte Anne Marie Speidel, eine kleine resolute Wolfschlugenerin, ihre beiden Töchter nach Beuren, wo sie sich die Art der Stickerei von dort anlernen ließen.
Um 1865 verbesserten sich die Einkünfte in der Landwirtschaft, so dass nur noch wenige Mädchen das Stickhandwerk, was sehr viel weniger einbrachte, ausübten.
Doch nach den Kriegs- und damit einhergehenden wirtschaftlichen Krisenjahren des ersten Weltkriegs besannen sich plötzlich wieder mehr Mädchen und Frauen aufs Sticken. Im Hause Speidel war man der Stickerei seither treu geblieben und nachdem sich die Stickqualität verbessert hatte, konnten die Stickerinnen mehr Lohn für ihre Stickereiprodukte nehmen. Nachdem Anne Marie Speidel 1875 verstarb, führte ihre Tochter Pauline ihr Werk fort – sie war es, die der Stickerei als Unternehmerin zum Durchbruch verhalf (1888 beschäftigte sie 160 Stickerinnen). Sie vererbte schließlich, da sie selbst kinderlos blieb, ihrer Nichte Marie Louise Knöll aus Dankbarkeit für deren Dienste im Hauswesen ihre ganze bewegliche Habe. Diese setzte wiederum die Arbeit ihrer Tante in der Stickerei fort. Sofern die Mädchen nicht bei der Feldarbeit gebraucht wurden, saßen sie bis spät in der Nacht, bis sie nichts mehr vor Augen sahen in Gruppen zusammen vor oder in den Häusern schwatzten, sangen und stickten.
Jeden Samstag mussten die fertigen Waren in Stuttgart abgeliefert werden. Manches Mädchen war mit der Ware erst Freitagnacht nach Mitternacht fertig, doch bei "Stickspeidels" herrschte auch um diese Uhrzeit noch Hochbetrieb. Die Ware wurde dann in Sticksäcke oder farbige Bettleinen verpackt. Sechs Stunden brauchten sie mit Pferd und Wagen von Wolfschlugen nach Stuttgart. Dafür standen die Frauen um vier Uhr morgens auf, fuhren gegen sechs Uhr los und waren gegen Mittag in Stuttgart. Die oft nahezu einen Zentner wiegenden Sticksäcke trug man auf dem Kopf in die verschiedenen Wäsche- und Aussteuergeschäfte.